Mobilitaet Verkehr

Böhm: "Mobiplan 2035+ - Bislang nur blumige Worte und Allgemeinplätze!"

"Es fehlt genau das, was wir wollen: Dass Verkehr funktioniert!"

2014 hat der Stadtrat den Verkehrsentwicklungsplan 2025plus beschlossen: einen Fahrplan für die Entwicklung der Mobilität in unserer Stadt. Seitdem haben sich viele Rahmenbedingungen geändert, so dass dieses Konzept im Dresdner Mobilitätsplan 2035+ fortgeschrieben wird.

Im MOBIdialog haben in den letzten Monaten 62 Dresdner (Experten, Bürger, Kommunalpolitiker sowie Vertreter von Interessenverbänden und Stadtverwaltung) diskutiert und bereiten Entscheidungen vor. Inzwischen gibt es 14 Leitziele, zu denen sich auch 3700 Dresdner online geäußert haben.

Dazu ein Interview mit unserem Verkehrspolitiker Veit Böhm:

1. Mit welchen Gedanken haben Sie Leitziele und MOBIdialog gelesen, verfolgt und zur Kenntnis genommen?

Als ich das Konzept zum ersten Mal gesehen habe, habe ich im Vergleich zum noch gültigen Verkehrsentwicklungsplan festgestellt: Die wesentlichen, harten Fakten, wie sich künftig Verkehr in Dresden entwickeln und funktionieren soll, sind überhaupt nicht dabei. Es nimmt auch keinerlei Bezug auf den vorliegenden Plan.
Es sind weiche, blumige Worte, man kann man alles unterschreiben. Doch irgendwann stellt man sich die Frage, ob man sich wirklich dahinter versammeln kann. Es fehlt das, was wir wollen: Dass Verkehr wirklich funktioniert.

Der MOBIdialog ist in der Tat eine intensive Beteiligung von Bürgern und Interessenvertretern. Ob die Zusammensetzung dieses Diskussionsforum wirklich repräsentativ ist, dahinter setze ich ein Fragezeichen. Auch mit Blick auf die Teilnahme der Dresdner an der Online-Bürgerbefragung. 3700 Teilnehmer sind viel, aber Dresden hat mehr als 500 Tausend Einwohner.

2. Fuß- und Radverkehr sowie ÖPNV sollen bis 2035 einen Mindestanteil von 75% erreichen, ist das realistisch?

Das ist völlig illusorisch. Nehmen wir gerade die Pendler, das sind aktuell etwa 200 Tausend Menschen. Das sind Leute, die kommen auch aus Wilsdruff, Freital oder Ottendorf. Sie sind an Arbeitszeiten gebunden. Wenn das Pendeln noch unattraktiver wird, dann finden sie auch anderswo Arbeit.

Auch Menschen mit körperlichen Einschränkungen sind auf ein Auto angewiesen. Fahrrad oder Fußverkehr sind auch für diese Leute keine Option.

Der motorisierte Individualverkehr wird noch lange Zeit eine große Rolle spielen, und wir sind gegen Zwangsmaßnahmen, um den Leuten das Autofahren abzugewöhnen. Mit uns gibt es keine weitere Reglementierung und Verteuerung durch Tempo 30 in der gesamten Stadt, CityMaut, die massive Verknappung von Parkplätzen mit weiterer Verteuerung der Parkgebühren.

3. Kurze Wege und die gute ÖPNV-Vernetzung von Stadt und Umland spielen in den Mobiplan-Leitzielen eine wichtige Rolle, wird das Thema im Rathaus derzeit wirklich ausreichend untersetzt?

Oberbürgermeister Dirk Hilbert hat im neuen Doppelhaushalt 2023/24 bei diesem Thema einen finanziellen Mehrbedarf angemeldet, also muss sich der Stadtrat um das Geld kümmern. Es ist nicht lukrativ für Verkehrsunternehmen: Die Wege sind zu weit, die Beförderungszahlen zu klein. Es ist schwieriger einen halbstündigen Takt aus den Außenortschaften zu schaffen als einen 10 Minuten Takt im Zentrum.

Ob "On Demand" die richtige Lösung ist, bezweifle ich. Der Personalfaktor ist ja der Kernpunkt. Wenn acht Fahrgäste fahren wollen, brauche ich trotzdem drei bis vier Vollzeitkräfte.

4. Es gab eine umfangreiche Bürgerbeteiligung, für die Dresdner steht die Erreichbarkeit ganz oben in der Prioritätenliste. Setzt der Mobiplan mit Blick auf die Bürgererwartungen die richtigen Schwerpunkte?

Es gibt ja noch keinen Mobiplan selbst, Ingenieurbüros sollen konkrete Maßnahmenpläne und Szenarien entwerfen, die dann öffentlich diskutiert werden. Anfang Januar wird wohl die Ausschreibung kommen, ob das Stadtratsvotum noch in dieser Legislatur kommt, halte ich für fraglich.

Es ergeben sich aber sehr interessante Fragen: z.B. Wie soll das Tierheim erreicht werden, wenn die B 6 gebaut ist? Ein weiterer ÖPNV-Ausbau ist ja nicht geplant. Etwa über "On Demand" Verkehr?

5. Sind die Leitziele in der vorliegenden Form für uns zustimmungsfähig?

Nachdem wir im Ausschuss Änderungen herbeigeführt haben, ja. Ein Tempo 30 in der gesamten Innenstadt oder die ausschließliche Priorisierung von Sicherheit vor Leistungsfähigkeit von Kreuzungen und Hauptverkehrsachsen haben wir rausgestrichen. Für uns steht natürlich auch die Sicherheit der Verkehrsteilnehmer im Vordergrund aber auch die Leistungsfähigkeit ist wichtig. Wem nutzt es, wenn, wie am Fetscherplatz ein toller Radweg eingerichtet wird aber dann das Abbiegen von Bussen und Schwerverkehr nicht mehr funktioniert. Daher unser Anspruch "Sicher und Leistungsfähig". Wichtig für uns ist weiterhin eine bessere ÖPNV-Qualität in den Ortschaften und für Pendler. Und: Bis Mitte nächsten Jahres muss der noch geltende Verkehrsentwicklungsplan noch mal auf den Prüfstand.

Das Interview führte Fraktionsreferent Raik Bartnik.

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